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Szindbád

Szindbád



Ungarn, 1971
Genre: Drama
Regisseur: Zoltán Huszárik
Darsteller: Zoltán Latinovits, Margit Dajka

Ein alter Aristokrat namens Szindbád erinnert sich noch einmal an seine zahlreichen Frauenbekanntschaften.

Life is a chain of beautiful lies

Kommentar: So können Filme natürlich auch starten: mit Bildern von unter anderem Ölflecken, blonden Haaren, alten Fotografien und Wasser, das durch das Dach sickert, während alle paar Sekunden Klaviertöne ins Ohr rutschen und für einen kurzen Moment gar das Lachen einer Frau zu hören ist. Die Aneinanderreihung von verschiedenen, zuerst kaum miteinander in Verbindung setzbaren Einzelbildern gibt dabei nicht weniger als einen Teil der Inszenierung und einen Ausschnitt des Inhalts vor, so lassen sich denn nämlich auch die im Intro gezeigten Sachen im späteren Verlauf wiederentdecken, weil sie mit den Erinnerungen der Hauptfigur verknüpft werden. Aber auch der Stil der schnell wechselnden Bilder und der Nahaufnahmen schöner Naturphänomene bleibt erhalten und greift immer wieder das Assoziationsschema auf, das den Film manchmal wie einen dichten Traum anfühlen lässt, wo man den Wald vor lauter Schönheit und bombastischer Pracht nicht mehr sehen kann.

In der Tat ist es so, dass die Geschehnisse manchmal hinter der Form zu verschwinden drohen, auch weil sich vieles gleicht, wiederholt und man sich ein wenig in einer Endlosschleife vorkommt, da die Erzählung selten neue Elemente hinzuaddiert und die gesamte Geschichte auf ein Viertel eines Bierdeckels passt. Sofern weder Spannungsmomente noch Nervenkitzelflair oder sogar so etwas wie vereinheitlichte Dramaturgietricks erwartet werden, sollte eine Sichtung dieses Werks eigentlich keine Folterspuren hinterlassen; und alle Menschen, die Filme präferieren, die sich über das Wie definieren, dürfen ihn so oder so als perfekt ins Beuteschema passenden Beitrag vermerken.

Der Film spielt in der Zeit der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, am Anfang des 20. Jahrhunderts, und basiert auf Kurzgeschichten des Schriftstellers Gyula Krúdy. SZINDBÁD handelt von einem Aristokraten, der zahlreiche Frauenherzen gebrochen hat und sich noch einmal an seine alten Bekanntschaften erinnert. Dieser titelgebende casanovaeske Antiheld hat mit dem arabischen Sindbad natürlich wenig gemein, dennoch ist eine bindende Komponente unübersehbar, nämlich die Reise. Denn auch der ungarische Szindbád ist ein Reisender, ein Abenteurer, jemand, der den Gewinn von neuen Erfahrungen schätzt, oder es zumindest früher getan hat. Wir erahnen, dass dieser Mensch in seinem Leben stets auf der Flucht vor etwas war, oder eben auf der Suche nach einer langlebigen Befriedigung - einen großen Unterschied macht das sowieso nicht, weil in diesem Fall beides das gleiche zu bedeuten scheint. Dieser Reisecharakter wird nicht nur zum Merkmal des Protagonisten, er bildet ebenso die Struktur der Erzählung, die uns von einer Erinnerung zur nächsten führt, eine Episode an die andere hängt, ohne wirklich viel auf die Regeln der Chronologie zu geben. Und plötzlich sind wir mittendrin in diesem poetischen Wirrwarr, in den Gewässern der Vergangenheit.

Doch bevor die schönen Darstellungen überhandnehmen, die unsere Augen mit stilisierten Bildern des im Anfangsstadium befindenden 20. Jahrhunderts verwöhnen, werden wir Zeuge eines freudlosen Umstands, dem die Kamera zwar absichtlich distanziert gegenübertritt, aber dadurch die innewohnende Konsequenz keinesfalls ausradieren kann. Der Film beginnt inhaltlich dort, wo er eigentlich aufhört: mit dem Tod Szindbáds. Wir sehen ihn hinten in einer Droschke liegen, und wie ihn Pferde von einem Ort zum anderen bringen, ihn von einer seiner Bekanntschaften zur nächsten transportieren, weil Sindbads Leiche offensichtlich niemand haben will. Dieser deprimierende Anblick von Pferden, die auf leeren Landwegen herumziehen, bildet dabei den Höhepunkt einer sich entwickelnden Kurve, deren Verlauf keine großen Überraschungen bietet. Denn die Lebenskrise der Person Szindbád wird zum Ende hin in immer dunkleren Kapiteln vermittelt und auch die Metaphorik wird zunehmend düsterer. Mit dem Tod wird man jedoch stets konfrontiert. So trifft Szindbád eine Bekannte, die ihm in trockener Weise davon erzählt, dass sie am liebsten auf der Stelle mit ihm zusammen sterben würde; eine andere Erinnerung führt ihn zu einer alten Geliebten, die vor einigen Jahren anscheinend im See ertrunken war. Er selbst scheint dagegen schon vor seinem Tod tot zu sein, da er mehr vor sich hin existiert, auf sich selbst herunterschaut, seine Taten sowie die Mechanismen der Welt zynisch kommentiert und eigentlich für nichts mehr wirklich lebt.

Wenn wir von den traurig stimmenden Phasen weggehen wollen, müssen wir uns nur den fantastischen Anfang anschauen. Genauer gesagt das, was gleich nach den opening credits über den Bildschirm läuft. Dort tanzen zwei junge Frauen bei einem großen Baum zu wechselnder Musikbegleitung, die aus klassischen Kompositionen besteht. Ein wenig später stößt der Titelheld hinzu und beginnt, die Wiese ebenfalls für ein paar rhythmische Bewegungen zu nutzen.

Doch dieser ehrenwerte Glanz verschwindet wieder genauso schnell, wie er plötzlich nach der beschriebenen tristen Eingangssequenz da war, und schon in dem ersten Dialog zwischen Szindbád und einer Dame geht man zur Praxis über, die alsbald fast den gesamten Film beherrschen wird: schöne Aufnahmen und Stimmen trist gestimmter, bisweilen depressiver Persönlichkeiten.

Die Treffen mit unterschiedlichen Frauen, die Szindbád aufsucht, um sich mit ihnen über die Vergangenheit oder die aktuelle Situation zu unterhalten, sind alles andere als einfach gestaltet, sowohl für den Zuschauer als auch für ihn. Der Herzensbrecher, der bei einer gewissen Majmunka haust, die er ebenfalls irgendwann vor langer Zeit sitzen gelassen hat, trägt nämlich allerlei Erinnerungen in seinem Kopf und hat auch etwas für merkwürdige Weisheitsfetzen übrig, die er entweder unter die Menschen bringt oder in inneren Monologen verarbeitet. Gerade der Rückgriff auf lange zurückliegende Lebenspassagen, die dem Zuschauer mit teils diffusen Einzelbildern vermittelt werden, geben den Zusammentreffen eine Strukturlosigkeit, von der Verwirrung und Entwirrung gleichzeitig ausgehen. Doch das wäre noch nichts, wenn die Gespräche selbst nicht kryptisch wären. Allerdings sind sie oftmals genau das, und wenn man den Film als surreal bezeichnen will, dann sollte man ihn noch mehr aufgrund seiner Dialoge als traumartiges Werk ansehen.

Die Simultanität zwischen Schönheit (Bilder) und Düsternis (Inhalt der Diskussionen und Gespräche) gleicht seltsamerweise niemals einem befremdlichen Chaos, dem man am liebsten entrinnen möchte. Egal wie ungemütlich der Knäuel von Szindbáds Geschichten auch wird, stets zieht uns der manipulative Bewusstseinsstrom mit, in diese neuen Reiche, wo uns manchmal verschiedene Frauen aus verschiedenen Zeiten nacheinander vorgestellt, aber trotzdem durch keine genauere Markierung als den Schnitt getrennt werden. Statt nur eine hübsche Bilderaneinanderreihung zu ergeben, entwirft SZINDBÁD einen Trip zu den letzten Bewegungen und Gedanken eines müden Mannes, der gerne und viel isst, zu seiner Eitelkeit steht und die Gepflogenheiten der kulturellen Welt zynisch analysiert. Vielleicht war er auch gar kein Reisender und sein Name soll genau dieses Fehlurteil provozieren. Denn wechselt man ein wenig den Blickwinkel macht er stattdessen einen veränderungsresistenten und absolut gelangweilten Eindruck, wirkt dabei auch noch so, als sei er von einem spezifischen, möglicherweise ganz und gar aristokratischen Ennui besessen, der ihn von einer (charakterlichen) Entwicklung abhält.

Zwei Spielfilme hat Zoltán Huszárik fertigstellen können, bevor er 1981 Selbstmord begann. Ein Jahr vor seinem Tod erschien sein zweiter Langfilm, der allerdings sowohl bei Kritik als auch dem Publikum durchfiel, auch wenn CSONTVÁRY (1980) die zu dieser Zeit teuerste ungarische Filmproduktion war. SZINDBÁD machte allerdings ein glücklicheres Schicksal mit, denn bei ihm soll der kommerzielle Erfolg, neben der nicht überraschenden Lorbeerenverteilung der Filmkenner,  nicht ausgeblieben sein. Wahrscheinlich hätte das Werk sogar noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen können, wenn Huszáriks erste Wahl für die Hauptrolle, der Italiener Vittorio De Sica, mitgespielt hätte. Zwar soll De Sica zuerst zugesagt haben, doch das vergleichsweise geringe Budget der Produktion erlaubte es nicht, den weltbekannten Regisseur und Schauspieler in den Bund mit aufzunehmen, da der Italiener die übliche Gage ausgezahlt bekommen wollte. Davon ließ sich Huszárik anscheinend aber nicht groß beirren und griff sich einfach den Nächstbesten aus der Reihe, womit er sich für Zoltán Latinovits entschied. Der war ein erfahrener Mann vor der Kamera, und so wirkt er dann auch in SZINDBÁD, dessen Titelheld er vielleicht nicht grandios und überaus sensationell, aber schon ziemlich respektabel verkörpert.

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1 Kommentare

  1. Habe den Film jetzt auch gesehen ... Er war schon hübsch anzusehen, aber für meinen Geschmack zu substanzlos. Vielleicht ändert sich mein Urteil noch in der nächsten Sitzung zum Ungarischen Film am nächsten Freitag, wenn wir den Film besprechen werden ;)

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